von Elisa Pfennig
Freiraum – in den aktuell geführten Debatten um die Berliner Stadtentwicklung ist der Begriff allgegenwärtig. Es zeigt in erster Linie eines: Die (Frei)Räume der Stadt schwinden – sind verkauft oder bebaut. Flächen werden immer knapper und sind damit umkämpfter als noch vor 10 Jahren. Berlin steht unter einem Verwertungsdruck und der Immobilienmarkt läuft heiß. Das bekommen vor allem solche Gruppen zu spüren, die in kein potentielles Käufer*innen- oder Mieter*ìnnenklientel passen, weil sie andere Lebens- und Wohnverhältnisse erproben wollen. Stadtbewohner*innen fordern mehr Freiräume für sich ein. Welche Botschaft steckt in dem Ruf nach Freiräumen? Was soll das sein, dieser Freiraum?
Städtische Raumkonstruktionen haben klare Kategorisierungen, die durch Gebote und Verbote untermauert werden. Fußgängerweg, Radfahrstreifen, Hundeauslaufgebiet, Grillplatz, privater Wohnraum – allein begrifflich ist damit schon festgeschrieben wozu die Orte da sind und was Personen in ihnen bzw. mit ihnen tun sollen. Immer wieder reiben sich diese Vorkategorisierungen und ihre Gebrauchsanweisungen von stadtplanerischen, architektonischen und politischen Akteuren mit den Raumaneignungen der Menschen, die letztendlich in ihnen unterwegs sind. Eine Parkbank wird zur Skaterampe, der Fußgängerweg zur Spätibar, der Autostreifen zum Radstreifen und der Wohnraum zum Atelierplatz oder umgekehrt. Die Stadtverwaltung versucht dann ordnungsreglementierend einzugreifen – Bußgelder, Polizeikontrollen, Skatestopper und Räumungen sollen vorgesehene Raumfunktionen sichern. Es ist jedoch ein Bedürfnis von Menschen mit den physischen Gegebenheiten des Raums zu spielen und diese zu ihrem Nutzen oder ihre gewünschten Nutzungen kreativ umzudeuten.
Menschen schreiben also den städtischen Räumen Nutzungen zu – auf ihre eigene kreative Art geben sie damit den Orten eine persönliche Note. Dahinter steckt der Wunsch die eigene Lebensumgebung mitzugestalten, das bedeutet gleichzeitig Stadt gestalten. Stadt und Lebensraum gestalten, das ist das was in Freiräumen als einfacher möglich erscheint. Menschen und Gruppen wollen sich diese Räume erobern und nach eigenen Ideen modellieren. Solche Orte werden als unreglementierte Räume erlebt, an denen ein Ausprobieren möglich ist. In denen mehr ins Blaue hineingedacht werden kann, was sich mit der physischen Umwelt alles anstellen lässt, ohne bereits zugeschriebene Funktion.
Wozu braucht es diese Räume?
Menschen
wollen ausprobieren, erproben und scheitern. Sie wollen Gemeinschaft
erfahren, eigene Grenzen testen und Selbsterfahrung leben. Das lässt
sich durch Reibung, Konflikte, Brüche und Übergänge erfahren.
Genau das bieten Freiräume. Wie ein Abenteuerspielplatz: Aufbauen,
Abbauen, Neubauen, immer und immer wieder. Es geht also letztendlich
um Lücken – Freiräume sind unfertige Räume, die den kreativen
Gestaltungswillen immer wieder neu anregen und damit zum Spielraum
von unkonventionellen Ideen werden. Städtische Orte müssen
wandelbar und flexibel bleiben und zwar durch jene, die aktuell dort
leben, wohnen und sich bewegen. Das ist zukunftsträchtige
Stadtpolitik: Freiräume sind Experimentierfelder für zukünftige
und flexible Stadtentwicklung.
Einen solchen Ort bot die Rummelsburger Bucht Anfang der 2000er Jahre. Die Industrietürme waren verlassen oder abgebaut, der Osten vorbei und das neue Berlin dümpelte noch vor sich hin und versuchte Investoren in die Stadt zu locken. Die Bucht lag brach und der giftigeIndustrieschlick blubberte fröhlich. Menschen eroberten die Bucht, um unterschiedlichste Lebensformen auszuprobieren, für die es woanders keinen Raum gab. Neben ersten Wohnhäusern entstanden ein Biergarten mit Musik, nebenan der Bauwagenplatz, Hausboote auf dem Wasser und ein wildes Ufer. So gestalteten sich Freigeister, Zugezogene, Lebenskünstler, Obdachlose und Leute auf der Suche gemeinsam Ufer und Wasser. Kein Freiraum kommt ohne Konflikte und Reibungen aus. Gruppen kommen und gehen, streiten und versöhnen sich, verwirklichen und zerstören. Zeitgleich wandelt sich die Stadt: Der Freiraum Bucht hat die Bucht für die Stadtentwicklung und Investoren attraktiv gemacht. Flächen wurden verkauft und mit einem Bebauungsplan wieder konkreten Nutzungen zugeschrieben, die nun umgesetzt werden sollen. Wie in einer Glaskugel, lassen sich aktuell an der Bucht die Konfliktlinien zwischen Stadtentwicklung, Flächenknappheit, Gestaltungswille der Stadtbevölkerung und den vielfältigen Lebens- und Wohnformen von Stadt, erleben und festhalten. Der (T)raum scheint zu Ende: Biergarten und Bauwagenplatz müssen ihre Flächen bis Ende des Jahres räumen. Wie es mit dem Obdachlosencamp und den Hausbooten weitergeht ist unklar. Die Menschen vor Ort werden weiter um die Freiräume der Stadt kämpfen und möglicherweise weiterziehen. Doch die eine Forderung bleibt: Berlin braucht Freiräume um sich als lebendige, vielfältige und für viele Gruppen lebenswerte Stadt weiterzuentwickeln.
Lena Maria Loose hält die Zeit an und erzählt mit BUCHT von den Menschen und vielfältigen Lebensweisen, die derzeit (noch) die Rummelsburger Bucht beleben.
Elisa Pfennig ist Berlinerin und Stadtforscherin, die sich mit vergangenen und zukünftigen Stadtentwicklungsprozessen aus historisch-soziologischer und kulturanthropologischer Perspektive beschäftigt . Von 2011-2016 war sie als Abgeordnete im Bezirksparlament Pankow selbst an Berliner Stadtentwicklungspolitik beteiligt.